Appell an Bundespräsident Gauck- Chicagoer Schule

Wenn Bundespräsident Gauck dieses Gesetz unter Druck doch vorher unterschreibt, wird das ESM und Fiskalpakt ein völkerrechtlich bindender Vertrag zwischen Staaten, völlig egal, wie das Bundesverfassungsgericht letztendlich entscheidet.

 

Appell an Herrn Bundespräsidenten Gauck: Verweigern Sie ihre Unterschrift!

 

Der Bundespräsident darf die Gesetze zum Fiskalpakt und dem Euro-Rettungsschirm ESM nicht unterschreiben, denn diese schaffen de facto und de jure den Kern unserer Demokratie, das Haushaltsrecht des Bundestages ab.

Diese Gesetze schaffen eine demokratisch nicht legitimierte ESM-Institution mit einer nie gekannten Machtfülle , die über dem Recht und über den Gesetzen steht, die zwar klagen, aber nicht verklagt werden kann, die tun und lassen kann, was sie will.

Verweisen Sie diese Gesetze zurück in die parlamentarische Beratung mit der Aufforderung, eine breite öffentliche Diskussion über eine neue Verfassung einzuleiten, wie sie das Grundgesetz mit Artikel 146, über die das gesamte deutsche Volk in freier und geheimer Abstimmung zu entscheiden hat.

Diese Verfassung muß zu eindeutigen Aussagen über die Ausgestaltung der Wirtschaftsform der Bundesrepublik Deutschland kommen und die Aussage von Artikel 20 GG festschreiben, daß Deutschland als Ganzes ein sozialer und demokratischer Bundesstaat ist.

Ebenso muß das Widerstandsrecht nach Artikel 20, Abs. 4 GG in der neuen Verfassung festgeschrieben werden.

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Ausgetrickst von den Chicago-Boys aus: Süddeutsche Zeitung vom 23./24.6.2012

Von Stephan Schulmeister

Nach einem Spekulationsboom verursacht der Börsenkrach von 1929 eine Rezession; die Budgetdefizite werden mit einer Sparpolitik bekämpft, die Banken lässt man krachen, beides führt in die große Depression.

Nach einem Spekulationsboom verursacht die Finanzkrise 2008 eine Rezession, Panik aktiviert das Langzeitgedächt-
nis der Eliten: Die Banken werden gerettet und Konjunkturpakete geschnürt.
Dann setzt Freud'sche Verdrängung ein: Aus der Finanzkrise w
ird eine Staatsschuldenkrise, die Finanzalchemie um .
ein neues Spiel erweitert, die Spekulation gegen Staaten. Diese müssen immer härtere Sparpakete umsetzen, um das
Wohlwollen der Märkte und der Merkel zu erkaufen. Griechenland, Portugal und Spanien schlittern in eine Depression,
Italien ist auf dem Weg.

Nun soll der Fiskalpakt die Sparpolitik auf ewig verankern. Seine Umsetzung wird die Wirtschaft in eine Depression geleiten und die Verbitterung der Bürger in Hinblick auf die EU steigern.
Die heftigsten Gefühle werden sich gegen Deutschland richten, Spardiktat und Langzeitgedächtnis ergeben eine üble Mischung.

Irrtümer dieser Dimension können nur im historischen Kontext begriffen werden. Das Lernen aus der Weltwirt-
schaftskrise ermöglicht nach 1945 eine neue "Spielanordnung" : Der Staat spielt eine aktive Rolle in der Wirtschaft, Unternehmer und Gewerkschaften arbeiten eng zusammen, die Gütermärkte werden libera
lisiert, die Finanzmärkte bleiben reguliert, der Zinssatz wird unter der Wachstumsrate stabilisiert, die Wechselkurse und Rohstoffpreise sind stabil, die Aktienmärkte schlummern.

Unter diesen Bedingungen kann sich das Gewinnstreben nur in der Realwirtschaft entfalten, das "Wirtschaftswunder" findet statt: Schon Anfang der 1960er Jahre wird Vollbeschäftigung erreicht, der Sozialstaat wird massiv ausgebaut, die Staatsschuldenquote sinkt stetig. Nun stellen die Gewerkschaften neue Forderungen: Umverteilung durch höhere Löhne sowie mehr Mitbestimmung für die Mitarbeiter. Beides wird durchgesetzt, insbesondere durch die Verdreifachung der Str.eiks. Die Intellektuellen driften nach links, es folgen das Jahr 1968, der Aufstieg der Sozialdemokratie und schließlich auch noch die Öko-Bewegung.

Deshalb werden die Unternehmer wieder empfänglich für die Thesen der neoliberalen Theoretiker und ihre Verhei-
ßung, Gewerkschaften und
Sozialstaat zurückzudrängen. Erreicht wird dies durch die Hintertür der Entfesselung der
Finanzmärkte
, und zwar im "neoliberalen Wechselschritt": Schritt A: Auf Grund der Empfehlungen neoliberaler
Masterminds wie Milton Friedman und seiner Schule von Chicago, werden Probleme geschaffen. Schritt B: Diese Pro-
bleme werden für eine Verschärfung der neoliberalen Politik genützt
.

So geht das immer weiter. Schritt A: Die Masterminds fordern die Aufgabe fester Wechselkurse, 1971 war es soweit.

In der Folge verliert der Dollar 25 Prozent seines Werts. Im Herbst 1973 reagieren die Erdölexporteure mit dem ersten Ölpreisschock: Rezession, Arbeitslosigkeit und Inflation steigen. Es folgt Schritt B: Diese Konstellation wird als

Widerlegung des Keynesianismus sozusagen " verwertet u . Dann wieder Schritt A: Zwischen 1976 und 1978 verliert der Dollar wieder 25 Prozent an Wert, 1979 kommt. es zum zweiten Ölpreisschock samt Rezession und Inflationsschub.

Schritt B: Die Notenbanken wechseln deshalb zu einer Hochzinspolitik, seither liegt der Zinssatz in der EU fast permanent über der Wachstumsrate.

Schritt A: Die Finanzinnovationen wie Derivate fördern die Spekulation mit Aktien, Rohstoffpreisen, Zinssätzen und Wechselkursen, die Instabilität dieser Preise steigt. Wieder Schritt B: Dies sowie das positive Zins-Wachstums-Dif-
ferential veranlassen immer mehr Konzerne, ihre Realinvestitionen zu senken - zugunsten von Finanzveranlagungen,
das Wirtschaftswachstum sinkt, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung steigen.

Was folgt? Natürlich Schritt A: Anfang der 1990er Jahre übernimmt die EU mit den Maastricht-Kriterien eine
Grundforderung der
Chicago Boys: Die Regelbindung der Politik als Pendant zur Entfesselung der Finanzmärkte.
Schritt B: Die Sparpolit
ik dämpft den Konsum nachhaltig, am meisten in jenen Ländern, wo die. Staatsquote am stärks-
ten gesenkt wird w
ie in Deutschland.

Weiter wieder mit Schritt A: Arbeitslosigkeit und atypische Beschäftigung lassen die .Armut steigen und belasten die
Sozialbudgets. We
itere Kürzungen sind die Folge -. und Maßnahmen wie Hartz IV. Schritt B: Die Schwächung der Sozialstaatlichkeit wird als Beweis angeführt, dass man individuell vorsorgen muss, insbesondere für die Rente.

Schritt A: Die Expansion der Pensionsfonds nährt den Aktienboom der 1990er Jahre und verstärkt nach der sogenann-
ten "Korrektur
" ab 2001 einen weiteren Boom, der Ende 2007 kollabiert- und jetzt? Genau, Schritt B: Die Gewinner
dieser Entwicklung sind die Profis
.im Finanzsektor.

Es folgt wieder Schritt A: Das Credo "Lassen Sie Ihr Geld arbeiten" hat die Finanzalchemisten so groß werden lassen,
dass sie in den Krisen seit 2008 gerettet werden müssen. Schritt B: Mit den
'"Rettungsmitteln" können sie ihre Spiele aus weiten, nunmehr auch gegen Staaten.
Mit dem Fiskalpakt erfolgt der ultimative Wechselschritt A: Über drei Jahrzehnte haben die neoliberalen Empfeh
lungen
das Anwachsen von Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Armut hauptsächlich verursacht
. Schritt B: Die Fiskalpakt-Therapie" wird die EU in eine Depression führen. Dann wird man sich den Sozialstaat leider nicht mehr leisten
können - Fazit:
Mission aeeomplished, Mission abgeschlossen.

Was die EU-Eliten nicht wissen: Alle Komponenten des Fiskalpakts wurden vor mehr als 40 Jahren in der Schule von
Chicago entwickelt
. Erstens das Konzept einer Regelbindung der Politik - das die USA übrigens schon vor mehr als 20 Jahren wieder verworfen hatten.- Zweitens die Methode zur Schätzung des "strukturellen Defizits". Sie nimmt an, dass es eine sogenannte "natürliche Arbeitslosenquote" gibt. Dieses Konzept erlaubt es Okonomen, den Potentialoutput zu niedrig und das "strukturelle Defizit" zu hoch anzusetzen. So läge etwa das spanische Bruttoinlandsprodukt laut EU-
Kommission auch bei 25 Prozent Arbeitslosigkeit nur um vier Prozent unter seinem Potenzial, das Budgetdefizit sei da-
her "strukturell" bedingt
, wie es heißt.
Also, das ist die Schlussfolgerung, .muss muss man auch in der Depression weiter sparen. Und drittens die Annahme, dass die Verschuldung des Staates gleich zu beurteilen sei wie jene eines einzelnen Haus-

halts. .

Der Kampf gegen die Sozialstaatlichkeit war das deklarierte Ziel der Schule von Chicago. Der Fiskalpakt verankert
deren wirtschaftspolitischen Grundkonzepte. Damit unterminieren die EU-Eliten unter deutscher Führung das Europäische Sozialmodell. Eine Farce

Und wir alle haben es zugelassen, oder aber wenden wir uns jetzt mit obigem Appell an Bundespräsident Gauck.

 

Stephan Schulmeister, Jahrgang 1947, ist Wirtschaftsforscher am Wifo-Institut in. Wien.
Zudem war er Gastprofessor an der New York University und der University of New Hampshire.